Gefragt nach der Lieblingsstelle im Buch, muss Marco Russ lange überlegen. „Das DFB-Pokalfinale 2018 war das geilste Fußballgefühl. Wenn mein Sohn den Film auf dem iPad schaut und ich es beim Vorbeigehen nur höre, kriege ich noch Gänsehaut“, sagt der 36-Jährige, der fast seine komplette Karriere bei Eintracht Frankfurt verbracht hat. Doch Russ ergänzt: „Es war eine krasse Zeit mit Alex [Raack, Autor des Buches; Anm. d. Red.], all dies nochmal zu durchleben.“
Hier gibt’s die Buchvorstellung in voller Länge zum Nachhören:
Auf 240 Seiten kann der Leser des Buchs „Marco Russ. Kämpfen. Siegen. Leben.“ die Karriere des früheren Innenverteidigers und heutigen Analysten bei Eintracht Frankfurt durchleben. Von den Anfängen in Großauheim bei Hanau, die Zeit am Riederwald, wie Ex-Profi Ralf Falkenmayer seine Ausbootung dort verhinderte, Friedhelm Funkel ihn förderte und Felix Magath in Wolfsburg so gar nicht auf ihn setzte. Höhen und Tiefen beschreibt Russ so, wie er auch im richtigen Leben spricht: Locker, von der Seele weg, frei hessische Schnauze.
Ich möchte mit dem Buch nicht nur die Fans von Eintracht Frankfurt ansprechen [...] sondern auch aufzeigen, wie man mit der Krankheit umgehen kann.
Marco Russ
So auch in Bezug auf seine größte private Herausforderung, die aufgrund des Zeitpunkts auch großen Einfluss auf den ganzen Verein Eintracht Frankfurt hatte: Bei Marco Russ wurde am Tag vor dem Relegationsspiel gegen den 1. FC Nürnberg im Mai 2016 Hodenkrebs diagnostiziert. Im Buch erzählt er die Geschichte detailliert, und direkt nach dem Hinspiel stellte er sich mit folgender Begründung den Journalisten: „Um das Kind beim Namen zu nennen: Warum sollte ich um diese Sache einen Eiertanz machen?“ Russ, wie er leibt und lebt. Und damit den Unterhaltungswert des Buchs steigert.
Leseprobe
Aus dem Prolog
Der 28. Februar 2017. 285 Tage nach der Diagnose.
90. Minute im Viertelfinale des DFB-Pokals. Gegen Arminia Bielefeld führen wir mit 1:0. 39.000 Fans sind im Stadion und schreien meinen Namen. RUSS! RUSS! RUSS! Wie sehr habe ich diesen Augenblick herbeigesehnt.
285 Tage. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Und wie sie manchmal tatsächlich alle Wunden wieder heil werden lässt.
Ich schaue mich um. Versuche zu verstehen, was hier gerade abgeht. RUSS! RUSS! RUSS! Die vielen tausend Stimmen fühlen sich an wie die feste Umarmung der Kurve. Sie sagen mir, dass ich noch am Leben bin.
Auf meiner Brust, direkt über meinem Herzen, spüre ich den Adler, der auf unser Trikot gestickt ist. Er war schon Zeuge so vieler Abenteuer und Dramen. Das Leder meiner Schuhe schmiegt sich eng an meine Füße. Die Stollen versinken in dem Quadratmeter Rasen, der heute meine Eingangspforte ist. Dorthin, wo ich hingehöre.
Mein Name hallt noch immer durch das Stadion. Früher, auf dem Bolzplatz, habe ich nach Toren immer die Augen geschlossen und bin im Geiste auf die Kurve zugeflogen. Ich stellte mir vor, wie um mich herum Menschen in Schwarz und Weiß und Rot vor Freude hüpfen, wie sie ihre Fäuste recken und sich mein Jubel mit dem ihren vermengt. In Gedanken bin ich gerade wieder dort. Ganz am Anfang, als es nur mich gab und den Ball.
Ich öffne die Augen, stehe am Spielfeldrand und warte auf meine Einwechslung. Auf mein Comeback, das eigentlich gar nicht mehr möglich schien. Der Ball will einfach nicht ins Aus. Wie lange stehe ich schon hier? 20 Sekunden? Fünf Minuten? Ich rieche den Rasen. Viele große Schlachten wurden hier schon geschlagen. Oft genug war ich mit dabei. Dieser Rasen hat den Schweiß des Triumphes und die Tränen der Enttäuschung aufgesaugt. Gewinnen und verlieren. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum sich so viele Menschen in den Fußball verlieben. Weil nirgendwo schöner gewonnen und nirgendwo trauriger verloren wird. Weil sich nirgendwo das Leben so verdichtet wie auf dem Fußballplatz.
Sieg oder Niederlage. Was bedeutet das schon, wenn du am Leben bist?
Wenn du am Leben sein darfst?
Sie haben Krebs
Der 18. Mai 2016. Noch einen Tag bis zum ersten Relegationsspiel gegen den 1. FC Nürnberg. Nach der letzten Trainingseinheit rief mich Niko Kovač zu sich. »Alles klar«, dachte ich, »der will jetzt noch mit dir über das Spiel sprechen, wie er über die Taktik der Nürnberger denkt, welchen Schlachtplan er sich überlegt hat …« Niko unterbrach mit ernstem Blick meine Gedanken: »Marco, wir müssen mal schauen wegen morgen. Die NADA hat uns gerade darüber informiert, dass bei dir ein positiver Dopingbefund vorliegt.«
What the fuck?! Hektisch versuchte ich dafür irgendeine Erklärung zu finden. Hatte ich den Kids zu Hause Hustensaft verabreicht und anschließend den Löffel abgeleckt, ohne zu beachten, dass im Saft ein Wirkstoff enthalten war, den ich nicht in meinem Körper haben durfte? War irgendwo irgendwas im Essen gewesen? Konnte ich mir sonst wo etwas eingefangen haben, was zu diesem Befund geführt haben mochte? Eine andere Erklärung gab es für mich nicht. Selbst wenn ich hätte dopen wollen – ich hätte gar nicht gewusst, wo ich das Zeug herbekommen sollte! Und warum sollte ich so blöd sein, mir irgendwas reinzupfeifen, wenn man doch damit rechnen musste, kontrolliert zu werden? Mit diesem Gedankenchaos marschierte ich Niko hinterher, der mich direkt ins Büro von Heribert Bruchhagen führte. Neben Herri warteten schon unsere Mannschaftsärzte Dr. Seeger und Dr. Schwietzer auf mich, ebenfalls anwesend war unser Anwalt Christoph Schickhardt. Völlig verdattert nahm ich Platz. Bruchhagen ergriff das Wort: »Marco, ich muss dich das fragen: Hast du irgendein Zeug zu dir genommen?« »Natürlich nicht!«, gab ich zur Antwort. »Wir glauben dir«, sagte Herri, »aber wir müssen herausfinden, was es mit dem Befund auf sich hat.«
Ratlos hockten wir da und suchten nach einer Antwort. Einer der Ärzte sagte schließlich: »Ich werde jetzt erst mal bei der NADA nachfragen, um welche Substanz genau es überhaupt geht und ob es eventuell möglich ist, dass dein Körper diese Substanz selbst produziert.« Kurz darauf waren wir alle ein Stück weit schlauer. Bei meinen Kontrollen war ein deutlich erhöhter Beta-HCG-Wert festgestellt worden. Von diesem Wert hatte ich schon einmal gehört. Bei Frauen kann er auf eine Schwangerschaft hindeuten. Zweimal schon hatte mich diese Nachricht sehr glücklich gemacht, denn jeweils ein paar Monate später hatte meine damalige Frau Janina ein gesundes Kind zur Welt gebracht. Doch nicht bei Janina, sondern bei mir war dieser erhöhte Wert nun gemessen worden. Und das war nun wahrlich kein Grund zur Vorfreude. Ganz im Gegenteil: Bei Männern kann er ein Hinweis auf Hodenkrebs sein.
Hodenkrebs? Mein Gott, was passierte denn hier? Noch vor einer halben Stunde hatte ich auf dem Trainingsplatz gestanden und war mit meinen Gedanken voll und ganz bei der Relegation gewesen. Jetzt war plötzlich möglich, dass ich Krebs hatte. »Was machen wir denn nun?«, fragte ich hilflos in die Runde. Unsere Ärzte klärten mich auf: »Wir besorgen dir jetzt einen Termin beim Urologen und dann wirst du durchgecheckt. « Das Problem war nur, dass um diese Uhrzeit die Praxen bereits geschlossen waren. Doch die Docs setzten alle Hebel in Bewegung und wenig später saß ich bereits im Auto Richtung Ärztehaus, wo wir Eintracht- Spieler unsere jährlichen Check-ups durchführen lassen. Es gab dort einen Urologen, der sich bereiterklärte, extra für mich noch einmal seine Praxis aufzuschließen. Ich weiß nicht mehr, woran ich dachte, als ich auf dem Weg zu diesem Arzt war. Die ganze Situation war so surreal, wie sollte ein normaler Mensch das begreifen? Viel Zeit blieb zum Nachdenken blieb mir aber nicht, denn kurz darauf stand ich schon vor dem Urologen, der eine Ultraschalluntersuchung durchführte und meine Hoden abtastete. Kaum hatte er seine Hand aus meinem Schritt genommen, schaute er mich an und sagte die Worte, auf die mich keine Trainingseinheit der Welt hätte vorbereiten können:
»Es tut mir leid, das zu sagen, aber: Sie haben Hodenkrebs.«
Wobei er gerade beim langen Kapitel zu seiner Krankheit freilich einen ernsten Grund sieht, Leser für sich zu gewinnen. „Ich möchte mit dem Buch nicht nur die Fans von Eintracht Frankfurt ansprechen, die sicherlich einige Anekdoten schon kennen, aber hier nochmal einen tieferen Einblick in ihren Lieblingsverein bekommen. Sondern auch aufzeigen, wie man mit der Krankheit umgehen kann.“ Russ erklärt bei der Buchvorstellung, dass er nie die Idee gehabt habe, ein Buch zu schreiben, aber durch diesen Ansatz bestärkt worden sein.
„Ein Leben für den Fußball und gegen den Krebs“ ist der Untertitel des Buchs, der also genau die zwei großen Themenstränge abdeckt. Marco Russ gibt im Detail noch viel mehr in seinem Buch preis. Er erzählt, warum seine Beziehung zu Ex-Ehefrau Janina gescheitert ist, warum er zwischenzeitlich eine Halbierung seines Gehalts hinnehmen musste, was er aus der schwierigen Zeit beim VfL Wolfsburg gelernt hat und welche Momente im Leben die emotionalsten bisher waren. Alles in allem also eine beeindruckende Biografie, lesenswert nicht nur für jeden Eintracht- und Fußballfan.
Der härteste Zweikampf seines Lebens
Wenn der Fußball wie das Leben ist, dann war die Karriere von Marco Russ wie ein Zweikampf. Ein Zweikampf mit sich selbst auf dem steinigen Weg vom Jugendspieler zum langjährigen Kapitän und Publikumsliebling von Eintracht Frankfurt. Ein Zweikampf aber auch gegen den Hodenkrebs, an dem er völlig überraschend erkrankte und der ihn fast vom Platz gestellt hätte. Gemeinsam mit Bestsellerautor Alex Raack erzählt Russ, wie er mit der Eintracht Aufstiege feierte, Abstiege betrauerte, drei Mal das DFB-Pokalfinale erreichte und es 2018 sensationell gewann. Wie er mit seinem Team in Europa für Furore sorgte und mithalf, aus der einstigen Diva vom Main einen der aufregendsten Klubs der Bundesliga zu machen. Aber dies ist nicht nur die Geschichte eines umjubelten Fußballprofis, sondern auch die eines jungen Mannes, der eine gefährliche Krankheit besiegte, um am Ende wieder auf dem Platz zu stehen. Ein Buch für alle, die den Fußball lieben. Ein Buch nicht nur, aber besonders für die treuen Fans von Eintracht Frankfurt. Und ein Buch für alle, die die Hoffnung niemals aufgeben werden.
Ab sofort auch im Eintracht-Shop
Marco Russ mit Alex Raack
Kämpfen. Siegen. Leben.
Ein Leben für den Fußball und gegen den Krebs
240 Seiten, Klappenbroschur
Format 13,5 x 21 cm
Auch als E-Book erhältlich
ISBN 978-3-8419-0779-0
D 19,95 €, A 20,60 €