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19.03.2021
Verein

„Es geht um die Haltung“

Im September 2019 druckte Eintracht-Fan Sebastian Braun erstmals antirassistische Sticker und verteilte sie im Stadion. Aus Frankfurt sind sie mittlerweile nicht mehr wegzudenken.

Wer durch Frankfurt spaziert, wird früher oder später auf einen der Aufkleber mit der Aufschrift „Eine Stadt. Ein Verein. Gegen Rassismus, Faschismus und Homophobie“ stoßen. Über 160.000 dieser Sticker kleben mittlerweile im Stadtgebiet – und überall auf der Welt. Was als spontane Aktion begann, entwickelte aufgrund der Resonanz eine enorme Reichweite. „Es wurde zu einer Art Schneeballsystem“, berichtet Sebastian Braun, der Initiator der Aktion. „Ganz offensichtlich hat sich ein großer Teil der Fanszene darin wiedergefunden.“

Die Idee für die Sticker kam Sebastian im Gespräch mit Freunden auf dem Heimweg aus dem Stadion: „Wir haben über rassistische Vorfälle gesprochen, die durch die Medien gingen und darüber, wie froh wir über die deutliche Haltung der Eintracht und des Vereinsumfeldes zu dem Thema sind. Wir wollten die Werte, die der Verein und die Kurve vertreten, irgendwie noch plastischer machen.“ Kurz darauf wurden die ersten 1.000 Sticker gedruckt und im Stadion verklebt oder verschenkt.

„Dieses Privileg ist ungerecht“

Der Weg zu seinem antirassistischen Engagement sei für Sebastian ein Prozess gewesen. Der Eintracht-Fan ist selbst mit einer sichtbaren Behinderung aufgewachsen, die im Alter von 16 Jahren operativ korrigiert wurde. „Ich habe mich nie privilegiert gefühlt“, erinnert er sich. „Aber je mehr ich mich mit Rassismus-Erfahrungen auseinandergesetzt habe, habe ich verstanden, dass ich eben doch ein Privileg genieße – im Wesentlichen durch das Ausbleiben rassistischer, mitunter struktureller Diskriminierung.“ Sebastian verdeutlicht: „Ich habe nie aufgrund rassistischer Vorurteile eine Wohnung oder einen Job nicht bekommen, wurde nie wegen meiner Hautfarbe bedroht. Und es ist verdammt ungerecht, dass manche Menschen genau diese Diskriminierung fast täglich erleben müssen und dagegen möchte ich kämpfen.“

Ob am Main oder am Meer - die Sticker von Sebastian sind an vielen Orten zu finden.

Sebastians Wunsch ist es, mehr Menschen dazu zu bringen, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. „Ich finde, da kommt auch einem Verein eine große Verantwortung zu. Deshalb bin ich froh, dass diese Haltung bei der Eintracht so sehr gelebt wird und die Reichweite des Vereins genutzt wird, um etwas zu verändern.“ Gerade die Aufklärungsarbeit über Rassismus und dessen Ausdrucksformen müsse noch zu oft von Betroffenen selbst geleistet werden. „Wie pervers ist es eigentlich, dass Menschen nicht nur rassistische Gewalt, Hass oder Ablehnung erleben müssen, sondern darüber hinaus mit der Verantwortung alleine gelassen werden, daran etwas zu ändern?“, fragt der 33-Jährige. Dies sei letztendlich auch der Grund, warum er sich als nicht betroffene Person zu dem Thema äußere. „Ich möchte das Ganze als Apell formulieren, nicht wegzusehen, zuhören, empathisch zu sein und so dazu beizutragen, dass sich etwas verändert.“

Ein Teil eines großen Ganzen

Die Sticker nehmen für Sebastian dabei eine besondere Rolle ein. „Auf der einen Seite geht es um die Person, die den Sticker klebt und sich mit der Haltung identifiziert“, erklärt er. „Andererseits geht es darum, dass die Sticker dort, wo sie hängen, eine Atmosphäre schaffen. Leute, die an ihnen vorbeigehen und mit der Eintracht oder Frankfurt vielleicht selbst nichts zu tun haben, können so sehen, wofür diese Stadt steht.“ Er selbst sehe die Aktion allerdings eher als Teil eines großen Ganzen: „Der Sticker ist ein kleiner Teil einer großen Vereinsgeschichte, in der sich unglaublich viele Akteure antirassistisch engagieren.“ Natürlich spiele die Haltung des Vereins selbst dabei ebenfalls eine große Rolle, meint Sebastian. „Wenn Peter Fischer sich so klar positioniert, erreicht und beeinflusst das natürlich viele Menschen.“ Dennoch dürfe man nicht vergessen, wie viele Initiativen es in der Fanszene gebe, die von außen gar nicht sichtbar seien aber diese Entwicklung maßgeblich beeinflussen würden.

„Es geht darum, sich klar zu positionieren“

Der Hype um die Sticker ist mit der Zeit ein wenig abgeflacht, „auch, weil wir aktuell nicht ins Stadion können“. Für Sebastian ändere das allerdings nichts: „Letztendlich geht es um die Haltung, die dahintersteht“, erklärt er. „Es spielt keine Rolle ob man sich politisch links, grün, liberal, sozialdemokratisch oder konservativ verortet. In diesem Thema brauchen wir unbedingt Konsens: Es geht darum, sich klar gegen jede Form der Diskriminierung zu positionieren und entsprechend zu handeln.“ Dem Fußball käme hierbei auch eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung zu. „Ich würde mir wünschen, dass die Strahlkraft, die Fußballvereine haben - und zwar über die eigene Stadt oder Fanszene hinaus - noch mehr genutzt wird, um antirassistische Arbeit zu leisten. Und, dass sich noch viel mehr Menschen mit diesem Thema beschäftigen, um dazu beizutragen, diskriminierende Strukturen zu bekämpfen.“